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8. Oktober 2024 in Interview, 2 Lesermeinungen
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Rechtsanwalt Lothar C. Rilinger im KATH.NET-Interview: „Ich bin sicher, dass das Christentum auch im säkularisierten Abendland, im Westen, so wie in der übrigen Welt eine Renaissance erfahren und die Menschen wieder zu Gott führen wird.“
Hannover (kath.net) „Vertreter der Kirche, ob Diakon, Priester oder Bischof, haben die Aufgaben zu vertreten, die sie im Rahmen ihrer Weihe gelobt haben. Sie sollen die Lehre der Kirche verbreiten. Sie haben nicht versprochen, einem säkularen mainstream hinterher zu hecheln und ihn zu vertreten. Und auch den Vertretern der Kirche, die nicht geweiht sind, hat Jesus Christus den Auftrag erteilt, das Wort Gottes der Welt zu verkünden, nicht aber irgendwelche eigenen privaten Meinungen.“ Das vertritt Lothar Rilinger im KATH.NET-Interview. Er ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht i.R. und stellvertretendes Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes a.D. Auf kath.net hat er bereits viele eigene Kommentare sowie große Interviews mit dem emeritierte Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, veröffentlicht – siehe Link. Der Autor verschiedener Bücher schildert hier im kath.net-Interview auch, wie wichtig ihm das Schrifttum von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. geworden ist. Als er die Schriften von Joseph Ratzinger kennenlernte, „hatte ich das gefunden, was ich seit Jahren gesucht hatte: ratio et fides, diese Verbindung von Vernunft und Glauben. Als ich die ersten Schriften von Ratzinger gelesen hatte, wusste ich, dass ich angekommen war – dass meine Suche das Ziel erreicht hat.“
kath.net: Herr Rilinger, Sie gehören zu den produktivsten Autoren im katholischen Bereich. Angesichts der fast vollständigen Entchristlichung unserer Gesellschaft: Wieviel Hoffnung und wieviel Verzweiflung schwingen in Ihrer Arbeit mit?
Lothar C. Rilinger: Spätestens seit der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Paris ist der Welt vor Augen geführt worden, wohin die geistige Reise gehen soll. In der Szene, in der die Einsetzung des Abendmahles nicht nur durch Transpersonen persifliert, sondern sogar verhöhnt worden ist – um einen Begriff zu verwenden, der seitens der jetzigen Bundesregierung in den Diskurs eingeführt worden ist –, wurde das Christentum gleichsam zum Abschuss freigegeben. Es wurde nicht nur kritisiert, sondern sogar negiert und aus dem Diskurs geworfen.
Das lässt mich aber nicht in Verzweiflung versinken, sondern spornt mich vielmehr an, mich noch stärker für das Christentum als Grundlage unserer Gesellschaften und Staaten einzusetzen.
Als nach der Französischen Revolution von 1789 Gott aus der Kathedrale Notre Dame de Paris verbannt sowie für tot erklärt wurde und sich eine junge hübsche Schauspielerin, verkleidet als Göttin der Vernunft, auf dem Hauptaltar lasziv rekelte, glaubten viele Christen, dass ihr Christentum ein für alle Mal auf den Abfallhaufen der Geschichte geworfen worden wäre. Doch schon wenige Jahre später hat Buonaparte wieder die Pforten von Notre Dame für Gott geöffnet. Er hat erkannt, dass die Gesellschaft und auch der Staat ohne ihn nicht existieren könnten – ohne ihn könnte es kein gelingendes Leben geben.
Jesus Christus hat uns eine Hoffnung geschenkt, an der wir uns aufrichten können und die uns Leiden und Trauer ertragen lässt. Sie führt uns den Tod nicht als das Tor zum Nichts vor Augen, sondern im Gegenteil: Sie eröffnet uns den Weg ins eigentliche Leben, wie Joseph Ratzinger die Hoffnung an sich, diese christliche Hoffnung, die dem Sterben den Sinn vermittelt, beschrieben hat.
Vor diesem Hintergrund bin ich sicher, dass das Christentum auch im säkularisierten Abendland, im Westen, so wie in der übrigen Welt eine Renaissance erfahren und die Menschen wieder zu Gott führen wird.
kath.net: Die Kirche verwendet viel Energie auf zeitgeistige Themen, das Grundsätzliche fällt da oft hinten runter. In welchen Bereichen sollte die Kirche mehr Ressourcen stecken, um in unserer Gesellschaft wieder positiven Einfluss zu nehmen?
Rilinger: Eine überaus politisierte Kirche gleicht sich jeder politischen Organisation, ob Partei, NGO oder eine andere beliebige pressure group, an und wird dadurch lediglich zu einem weiteren Spieler im politischen Diskurs – mit der Folge, dass sie sich abnutzt und das Schicksal erfahren muss, das der Politik immanent ist: Sie wird nicht mehr gehört, ja, man wird ihrer überdrüssig, weil sie überall ihren Senf beigeben will.
Die Kirche hat einen viel weiteren politischen Auftrag. Sie muss sich nur in den Diskurs einschalten, wenn es um essentielle Fragen unseres Lebens geht – um Menschenrechte wie auf Würde oder Leben. Dann muss die Kirche ihre Stimme erheben, als „Überzeugungsgemeinschaft“ (J. Ratzinger) auftreten, und ihre ureigenste weltliche Aufgabe wahrnehmen und die staatlichen Gremien aus christlicher Sicht beraten. Aber nicht diesen ihre Meinung aufzwingen zu wollen, sondern ihnen vielmehr Alternativen aufzeigen, die ihre Begründung im christlichen Menschen- und Weltbild finden. Allerdings reicht es nicht aus, lediglich rein formell auf dieses Menschenbild zu verweisen, die Protagonisten müssen vielmehr substantiiert und detailliert die Begründungen vortragen und die widerstreitenden Argumente erörtern.
Das christliche Menschenbild lässt sich kaum aus dem momentan geltenden mainstream, der bekanntlich volatil ist und sich jederzeit ändern kann, herleiten, sondern die Kirche muss sich auf die ewigen Werte beziehen und von dieser Grundlage aus argumentieren – von einer Grundlage, die nur auf dem Naturrecht, auf dem vom Schöpfergott aufgegebenen Recht, basiert.
Das setzt freilich voraus, dass die kirchlichen Vertreter diese Grundlagen kennen und bereit sind, sich gegen den mainstream zu stellen und deshalb auch unbequeme Wahrheiten, die der heftigen säkularen Kritik ausgesetzt sind, zu vertreten. Eine Anbiederung an säkulare Meinungen ist billig und garantiert auch nur den rauschenden Beifall der Atheisten und Glaubensfernen, die sowieso alles verwerfen, was von der Kirche kommt. Vertreter der Kirche, ob Diakon, Priester oder Bischof, haben aber die Aufgaben zu vertreten, die sie im Rahmen ihrer Weihe gelobt haben. Sie sollen die Lehre der Kirche verbreiten. Sie haben nicht versprochen, einem säkularen mainstream hinterher zu hecheln und ihn zu vertreten. Und auch den Vertretern der Kirche, die nicht geweiht sind, hat Jesus Christus den Auftrag erteilt, das Wort Gottes der Welt zu verkünden, nicht aber irgendwelche eigenen privaten Meinungen.
Im Übrigen wäre es angebracht, die Seelsorge in den Vordergrund zu rücken. Nur wenn Gläubige mit Hilfe von Vertretern der Kirche Halt in ihren Sorgen und Nöten finden, ja, wenn sie erfahren können, dass ihnen die Kirche Hilfe gewähren kann, dürfte sie wieder eher von den abtrünnigen Gläubigen akzeptiert werden. So wichtig die politische Beratung der Kirche auch ist – ihre eigentliche Aufgabe ist durch die biblische Verpflichtung zur Seelsorge festgelegt.
kath.net: Egal ob es um Lebensrecht, Umverteilung oder die Gender-Debatte geht: Man vermisst in der Diskussion fundierte katholische Positionen. Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, dass sich hier etwas ändert?
Rilinger: Der eben beschriebene Missionsauftrag muss ernst genommen werden. Jeder sollte sich diesem verpflichtet wissen, jeder Gläubige soll mit seinen Möglichkeiten das christliche Moment verbreiten – und als Katholik auch das katholische.
Jeder Christ muss diese Mission auch wollen, jeder mit seinen Möglichkeiten, selbst wenn sie noch so klein und bescheiden ausfallen sollten.
Der wissenschaftliche Diskurs ist wichtig und vor allem notwendig, doch er ist nicht ausreichend. Auch Laien, die nicht theologisch oder philosophisch ausgebildet sind, müssen ihren Glauben zeigen, ja, müssen den Mut haben, sich zu Gott zu bekennen, auch wenn ihnen Hohn und Häme entgegenschlagen sollte. Zwar werden letztendlich die charismatischen Personen in der Lage sein, andere zu überzeugen, doch jeder Gläubige sollte es auch versuchen – durch fundierte Argumente und durch das Vorbildsein und Leben, durch seine Gläubigkeit.
Auch wenn ihnen der Gegenwind heftig ins Gesicht blasen wird – jeder sollte aber wissen, dass Europa und damit das Abendland und der gesamte Westen auf dem Christentum fußt. Selbst die atheistischen Vertreter der Aufklärung und die Revolutionäre von 1789 haben sich nicht von diesem Erbe trennen wollen und den Schlachtruf „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ als neue Erkenntnis in die Welt gebrüllt und sich dabei nur auf das christliche Gebot der Nächstenliebe und der Gleichheit aller Menschen bezogen.
Allein dieser Rekurs auf die Lehre Gottes zeigt uns, dass sich die ewigen Werte nur aus dem Glauben an Gott herleiten lassen. Dabei müssen wir uns vor Augen führen, dass lediglich durch das Christentum die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz der Welt eingepflanzt worden ist, nur durch die Vorstellung, dass der Mensch als imago Dei angesehen wird, als Ebenbild Gottes. Nur das Christen- und Judentum kennt diese unhintergehbare Gleichheit, und deshalb haben diese Religionsgemeinschaften der Welt die Existenzgrundlage vermittelt, die ein gedeihliches und friedvolles Zusammenleben möglich machen könnte. Aus diesem Grunde hat die UNO diesen biblischen Grundsatz auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 herangezogen, um eine allgemeinverbindliche Regelung für das Zusammenleben der Menschen und Völker zu kodifizieren.
Diese Bedeutung des Christentums für die Welt sollte Ansporn sein, mit dem nötigen Selbstbewusstsein christliche Vorstellungen im Diskurs und im Leben zu verbreiten. Die christliche Lehre ist wahrlich nicht vormodern, nicht voraufklärerisch, und das sollte jedem die Gewissheit vermitteln, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.
kath.net: Welche Rolle spielt in dem Zusammenhang die katholische Publizistik?
Rilinger: Von dem Auftrag ausgehend, den Christus uns allen erteilt hat, obliegt es der katholischen Publizistik das Wort Gottes in allen Facetten der Welt zu verkünden. Da die Religion aus dem Erfahrungswissen und aus dem Offenbarungswissen besteht, aus der Ethik, wie es in der christlichen Philosophie genannt wird, und aus dem Glauben. In beiden Bereichen müssen Publizisten die Lehre der Kirche thematisieren, ob im Rahmen der Volksfrömmigkeit oder der Wissenschaft, ob als Seelsorge oder als Theologie und Philosophie. Je niveauvoller dieser Diskurs geführt wird, desto eher wird er auch auf offene Ohren der Gläubigen und derjenigen stoßen, die dem Christentum eher skeptisch gegenüberstehen. Es dürfen ruhig kontroverse Diskussionen geführt werden, doch die Publizisten dürfen niemals die rechtliche Tatsache außer Acht lassen, dass die Kirche insgesamt auf göttlichem und auf menschlichem Recht basiert – auf göttlichen Rechten, die Jesus Christus selbst geoffenbart hat und aus den Rechten, die sich die Menschen gegeben haben, um die Kirche zu organisieren.
Die von Gott eingesetzte unsichtbare Kirche darf nicht verändert werden, da sich sonst der Charakter der Kirche zwangsläufig wandeln muss, wie uns die Reformation des 16. Jahrhunderts vor Augen geführt hat. In der von Menschen geschaffenen sichtbaren Kirche hingegen muss nach den besten Lösungen gerungen werden. Es gibt im Übrigen nur eine Offenbarung, und diese kann interpretiert werden, doch etwas Neues zu denken, verbietet uns das Wort Gottes. Versuche, neue Offenbarungen zu konstruieren, führen zwangsläufig zur Häresie. Die Verwaltungsstruktur der Kirche jedoch zu reformieren, diese auf menschlichem Recht basierende sichtbare Kirche, kann und muss Gegenstand von Diskussionen sein.
Allerdings kann es nicht Aufgabe katholischer Publizisten sein, die Kirche in Frage zu stellen, um sich selbst in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen. Da Teil der Publizistik auch die Kunst der Predigt ist, kommt dem Predigen eine mehr und mehr entscheidende Bedeutung zu. Auch wenn in der katholischen Messe die Eucharistie von entscheidender und konstitutiver Bedeutung ist – die Zeiten sind vorbei, dass Gläubige mit schlichten Predigten, die lediglich die Texte der Epistel und des Evangeliums wiederholen, zufrieden gestellt werden können. Sie empfinden die Predigt nicht als Unterbrechung der Messe, in der man seine Gedanken wandern lassen kann, sie wollen vielmehr durch die Interpretation der Worte Gottes Anregungen erfahren, über die es sich lohnt, auch noch nach dem Schlusssegen nachdenken und sprechen zu können. Es ist die Seelsorge, mit der Priester und Diakone die Gläubigen erreichen können, nicht jedoch mit politischen statements, die man besser von versierten Politikern hören möchte.
Das Aufzeigen der Schönheit des katholischen Glaubens scheint mir die Hauptaufgabe der katholischen Publizisten zu sein – die Schönheit, die uns Jesus Christus durch seine Kirche geschenkt hat. Je überzeugter die Publizisten sind, desto glaubwürdiger sind sie, ja, desto eher können sie Dritte in ihren Bann ziehen.
Benedikt XVI./Joseph Ratzinger hat es vorgemacht. Auch wenn er als Jahrhundertautor wohl nahezu einzigartig und damit kaum zu kopieren ist – er ist ein Vorbild, an dem wir uns ausrichten können. Er ist sozusagen der ideale christliche Publizist, der zwar unerreichbar ist, aber Leitlinien aufgezeigt hat, an der sich die katholische Publizistik orientieren sollte.
kath.net: Und was können Gläubige tun?
Rilinger: Jedem Christen obliegt die Aufgabe, das Wort Gottes in die Welt zu tragen. Deshalb sollten Gläubige auch bereit sein, ihren Glauben zu zeigen, sich zu ihm öffentlich zu bekennen. Sie sollen nicht penetrant, frömmelnd und bigott auf ihrer Katholizität bestehen, doch sie sollen sich auch nicht in der Anonymität der Masse verstecken.
Wie in Rom üblich, sollten Priester einen Collarkragen tragen oder zumindest ein sichtbares Kreuz am Revers, um der Welt ihre Existenz als Priester anzuzeigen; Eltern können ruhig vor dem Essen beten, auch dann noch, wenn die Kinder das Haus verlassen haben; Politikern steht es frei, ihre Entscheidungen an der christlichen Ethik auszurichten und sich gegen atheistische Theorien zu wenden; in Diskussionen kann jeder bewusst Bezug auf christliche Momente nehmen, um Dritten die Glaubenseinstellung aufzuzeigen, aber auch immer wieder betonen, dass die wichtigste Errungenschaft, die grundstürzende Erkenntnis der Moderne, die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, aus dem Christentum hergeleitet ist – eine Erkenntnis, die wir nur im Christentum finden können, alle anderen Religionen und Ideologien kennen diesen Grundsatz nicht. Nur wenn man überzeugt ist und sich zu dieser Einstellung auch bekennt, kann man Dritte bewegen, sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen.
kath.net: In Ihrem Interviewband „Der Souverän der Kirche ist Gott“ haben Sie mit Gerhard Kardinal Müller über Kirche, Philosophie und Politik gesprochen. Was erwartet den Leser konkret?
Rilinger: Wir haben dem Buch den Untertitel „Gespräche über Kirche, Philosophie und Politik“ beigefügt, um die Themenkreise zu umreißen, denen wir uns gewidmet haben. Mir kam es darauf an, von Kardinal Müller zu erfahren, wie er als Theologe und auch als Philosoph über die Themen denkt, die sich aus diesen drei Wissensgebieten ergeben. Da ich nicht Theologie studiert habe, hat es mich in besonderer Weise interessiert, wie er sich von der Philosophie her den religiösen Fragestellungen nähert, die mich seit Jahren beschäftigen. Philosophie überschreitet eher die religiösen Grenzen des Katholizismus – mit der Folge, dass Antworten, die aus dem Blickwinkel eines christlichen Philosophen gegeben werden, eher christliche sind, die deshalb den Anspruch erheben können, nicht nur die katholische Welt erreichen zu wollen, sondern die Welt an sich, auch die atheistische und kirchenferne. Dadurch – so stellte ich es mir vor – könnten wir auch einen größeren Leserkreis erreichen. Die meisten der Interviews hatten wir zuvor auf Internetforen publiziert – federführend ist dabei kath.net –, wobei sie in insgesamt in bis zu sechs verschiedenen Sprachkreisen erschienen sind. Aus den Reaktionen aus dem deutschen, französischen, englisch/amerikanischen, spanischen, italienischen und polnischen Sprachkreis machte deutlich, wie die Leser es schätzen, dass Kardinal Müller immer von der Grundlage der kirchlichen Lehre her argumentiert – nicht dem mainstream verpflichtet ist, sondern ausschließlich dem Wort Gottes.
kath.net: Ihr neuestes Buch heißt „Auf der Suche nach dem Licht – Zeichen des Glaubens auf dem Weg von Aquileia nach Rom“. Ein Reiseführer?
Rilinger: Ich wollte mit dem Italienbuch keinen klassischen, kunsthistorischen Reiseführer schreiben. Ich wollte vielmehr auf dem Weg von Aquileia nach Rom einige Kunstwerke aufsuchen, die im Zusammenhang mit den Fragestellungen stehen, die mich zum Teil seit Jahrzehnten berühren. Mit allen aufgesuchten Orten verbinde ich zwar auch persönliche Erinnerungen, doch hierüber schreibe ich nur, um die Lektüre etwas aufzulockern, damit ich mich nicht in der theoretischen Auseinandersetzung verliere. Die Kunstwerke sollen den Leser vielmehr auf die Fragestellungen einstimmen, die mir entgegengetreten sind. Es sind religiöse Themen, aber auch politisch-philosophische und historische, die oft das reine katholische Moment übersteigen und deshalb auch für die Gesellschaften an sich von Bedeutung sein können. Es sind aber immer christliche Fragestellungen, die Auswirkungen auf den politischen Diskurs haben können. Ich möchte die Schönheit des Glaubens aufzeigen und gleichzeitig die Notwendigkeit, sich auf den Glauben zu beziehen, um ein gelungenes Leben führen zu können.
kath.net: Sie schildern Reiseerlebnisse in Italien und ihre dazugehörigen Gedanken. Gibt es aus Ihrer Sicht einen metaphysischen Abglanz der großen Glaubensstätten oder so etwas wie den genius loci? Lohnt es sich also, Orte tatsächlich zu besuchen und auf sich wirken zu lassen oder würden Literatur und Bilder im Internet den gleichen Zweck erfüllen?
Rilinger: Viele der Kunstwerke und Stätten, die ich aufgesucht habe, kannte ich schon aus der Literatur und von herrlichen Photos. Doch es ist ein Unterschied, ob man eine Ablichtung betrachtet, eine Postkarte oder ein Buch, oder aber vor dem Werk des Künstlers steht. Auch wenn man auf dem Photo mehr die Einzelheiten studieren kann – das Original zu sehen, dieses Rendezvous mit dem Künstler und seinem Werk einzugehen, den genius zu spüren, der der Kunst zu entströmen scheint, ist schon überwältigend. Es ist wie die Auferstehung einer längst untergegangenen Welt, in die der Betrachter eintauchen kann – sie ist ja in diesen Momenten präsent. Hinzu kommt, dass die Begegnung mit dem Werk den Endpunkt des Suchens darstellt, dieses Ankommen, diese Erfüllung langen Sehnens. Steht man vor einem Kunstwerk, kann sich aus dieser Begegnung ein imaginärer Diskurs, ein Dialog der Gedanken entwickeln. Das Charisma des Werkes kann den Betrachter erfassen und okkupieren, und das ist ein unschätzbarer Gewinn, der alle Mühe vergessen lässt, die mit den vielen Fahrten nach Italien und Rom verbunden waren.
kath.net: Während Ihrer Berufszeit waren Sie als Rechtsanwalt tätig und als stellvertretendes Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs. Haben Sie als Jurist vielleicht einen rationaleren Zugang zu religiösen Themen als beispielsweise ein Theologe?
Rilinger: Ja, meine juristische Ausbildung lässt mich rationaler auf die Religion zugehen. In meiner Kindheit und Jugend bin ich sehr stark durch Franziskaner beeinflusst worden, da ihr Kloster die Kirche war, in der ich zur Erstkommunion gegangen bin und in der ich viele Jahre Messdiener und Oberministrant war, zumal mir unser Religionslehrer im Gymnasium, ein Franziskanerpater, oft im schulischen Bereich geholfen hat. Durch die Mönche habe ich – auch durch ihr polterndes Predigen – die Volksfrömmigkeit kennen gelernt, die mir aber im Laufe meiner Beschäftigung mit den Staats- und Rechtswissenschaften als zu wenig intellektuell erschien. Ich habe deshalb oft die hoch intellektuellen Predigten in der Hauptkirche der Hannöverschen Landeskirche aufgesucht und dort die Intellektualität angetroffen, die ich seit Jahren gesucht hatte. Doch als ich noch ein postgraduales Studium der christlichen Philosophie aufnahm und ich mit den Schriften von Joseph Ratzinger bekannt gemacht wurde, hatte ich das gefunden, was ich seit Jahren gesucht hatte: ratio et fides, diese Verbindung von Vernunft und Glauben. Als ich die ersten Schriften von Ratzinger gelesen hatte, wusste ich, dass ich angekommen war – dass meine Suche das Ziel erreicht hat.
kath.net: Welchem Leser würden Sie Ihre Bücher ans Herz legen?
Rilinger: Ich weiß, dass meine Bücher über Rom, aber auch das Italienbuch für so manchen Leser schwere Kost sein könnten. Es sind weder flotte Romane, noch leicht lesbare Reisebeschreibungen, die sich im Aufzählen von Kunstwerken und vor allem von zahlreichen Restaurants erschöpfen. Doch wer ein wenig Interesse an den geistigen Grundlagen unseres Seins hat, wer sich über das denkerische Fundament unserer Gesellschaften und unserer Staaten Gedanken macht, auch über das religiöse Moment in unserem Leben, findet in den Büchern viele Anregungen, um sich tiefer mit den aufgeworfenen Fragen zu beschäftigen. Das Italienbuch in einem Rutsch zu lesen, entspräche nicht ganz meinen Intentionen. Doch sich Kapitel um Kapitel voranzulesen, scheint mir der Weg zu sein, um sich mit dem Buch zu beschäftigen. Dieses Werk ist die Frucht langen Nachdenkens über und intensiver Beschäftigung mit den mir entgegengetretenen Fragen. Es sind Fragestellungen, die mich faszinieren, und deshalb hoffe ich, dass sie nicht nur mich mitreißen, sondern auch die Leser.
kath.net-Buchtipp:
Lothar C. Rilinger: Auf der Suche nach dem Licht
Zeichen des Glaubens auf dem Weg von Aquileia nach Rom |
Taschenbuch, 328 Seiten
16-seitige farbige Fotoeinlage
2024 Lepanto Verlag
Auflage: 1. Auflage
ISBN: 978-3-942605-33-5
Preis Österreich: 22,10 Euro
Preis Deutschland: 21,50 Euro
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SpatzInDerHand 8. Oktober 2024: Das habe ich mit großem Gewinn gelesen, danke!
SalvatoreMio 8. Oktober 2024: Aus der Hoffnung leben!
Es erfüllt mich mit wahrer Freude, die weitreichenden Gedanken des Herrn Rilinger zu lesen, die auch die Frage ansprechen, wie jeder einzelne seinen Beitrag leisten kann, um Christus zu verkünden. - Vom ersten bis zum letzten Wort dieses Beitrages möchte ich sagen: "Danke, ja!"
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