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Gesetzesentwurf in Belgien: Sterbehilfe soll für Demenzkranke legalisiert werden

9. April 2025 in Prolife, 6 Lesermeinungen
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Altersbedingte Einschränkungen zählen in Belgien nach Krebs zur zweithäufigsten Begründung für aktive Sterbehilfe


Wien (kath.net/IMABE) In Belgien wird derzeit ein Gesetzentwurf zur Änderung des Sterbehilfegesetzes vom 28. Mai 2002 diskutiert. Die Proponenten wollen die Möglichkeit der „vorzeitigen Sterbehilfe“ auf Personen auszuweiten, die nicht mehr in der Lage sind, ihren Willen zu äußern. Der Entwurf kommt nicht überraschend, doch er geht selbst „Sterbehilfe“-Befürwortern zu weit. Angst vor zukünftigem Leiden dürfe kein Kriterium für eine geplante Tötung sein.

Im September 2024 brachten Vertreter der Open Vlaamse Liberalen en Democraten (Open Vld) einen Gesetzesentwurf (DOC 56 0183/001) zur Ausweitung des sog. „Sterbehilfegesetzes“ ein. Ihr Argument: Patienten würden sich schon früher auf Wunsch töten lassen als notwendig aus Angst, sie könnten später wegen mangelnder Einwilligungsfähigkeit keine „Sterbehilfe“ mehr bekommen. Dem entgegnet Jurn Verschaegen, Direktor des Flämischen Demenz-Expertisezentrum, dass es „illusorisch" sei zu meinen, eine vorzeitige Erklärung könne die Wünsche einer Person in der Zukunft eindeutig widerspiegeln. Zum Zeitpunkt der Erklärung bleibe die Vorstellung der Krankheit hypothetisch. Patientenverfügungen könnten nicht in jedem Fall den gegenwärtigen Willen ausdrücken, betont Verschaegen. Er war einer jener Experten, die Ende Jänner 2025 zu einer parlamentarischen Anhörung geladen waren.

Unschärfe der Begrifflichkeiten öffnet Missbrauch Tür und Tor

Der neue Gesetzentwurf umfasst Begriffe wie „Unfähigkeit“, „Demenz“, „irreversibel“ und „unbewusst“, die allerdings nicht klar definiert sind und offen für rein subjektive Interpretationen – auch durch Ärzte oder Angehörige – bleiben, so Experten und Abgeordnete. Das bisherige Kriterium von akutem Leiden komme nicht mehr vor.

Niederlande erlaubt Tötung von Dementen bei vorheriger Patientenverfügung

Laut einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von April 2020 ist in den Niederlanden die Tötung von schwer dementen Patienten zulässig, sofern sie zuvor eine entsprechende Patientenverfügung formuliert haben – im Zweifelsfall auch gegen spätere nonverbale Willensäußerungen. Einer „Sterbehilfe“-Ärztin wurde Recht gegeben, als sie einer 74-jährigen Alzheimerpatientin ein Beruhigungsmittel in den Kaffee mischte, weil diese sich mit Händen und Füßen gegen die Todesspritze wehrte (Stichwort „Kaffee-Urteil“, Bioethik aktuell, 4.5.2020).

Vulnerable Patienten sind besonders gefährdet


Karianne Jonkers, Public Health-Expertin aus den Niederlanden, sieht diese Entwicklung sehr kritisch. Ohne das Kriterium des gegenwärtigen Leidens und klaren Definitionen ist dem Missbrauch und Druck durch Dritte Tür und Tor geöffnet, betont Jonkers vor dem belgischen Parlament. Sie hält es für gefährlich, sich ausschließlich auf die Geschäftsunfähigkeit des Patienten als unmittelbares Kriterium für „Euthanasie“ zu verlassen. Es lasse sich nur schwer feststellen, ob diese dauerhaft oder irreversibel ist. Für Ärzte sei es zudem ethisch und rechtlich problematisch, Menschen ohne Einwilligungsfähigkeit und ohne Leidensdruck zu töten (EIB, 14.02.2025). Studien würden zeigen, dass psychiatrische Patienten ihre Anfragen auf „Euthanasie“ wieder zurückgezogen haben, nachdem sie die richtige Behandlung erhalten hatten.

Entwicklung der „Sterbehilfe“ in Belgien seit 2002

Belgien legalisierte 2002 nach den Niederlanden als zweites Land der Welt aktive Sterbehilfe. „Euthanasie“ wurde für Erwachsene gesetzlich verankert, die an „anhaltendem, unerträglichem und unheilbarem körperlichem oder psychischem Leiden" aufgrund einer „schweren und unheilbaren Erkrankung" leiden. Das Gesetz wurde 2014 unter bestimmten Bedingungen auf Minderjährige ohne Altersgrenze ausgeweitet, sofern eine elterliche Zustimmung und individuelle Entscheidungsfähigkeit vorliegen.

Das Europäische Institut für Bioethik in Brüssel (EIB) lehnt das Konzept, wonach Dritte den ‚richtigen Moment‘ für die Tötung einer Person festlegen, die nicht mehr explizit zustimmen kann, ab (27.01.2025). Dies würde insbesondere vulnerable Patienten treffen. Untersuchungen zeigen, dass das eingesetzte Kontrollsystem, das vor Missbrauch schützen soll, in Belgien gescheitert ist (Bioethik aktuell, 12.02.2021).

IMABE: "Die sogenannte Selbstbestimmung kippt in Fremdbestimmung"

Umfragen zeigen, dass 40 Prozent der Belgier sich gegen kostspielige Behandlung von Hochaltrigen aussprechen (Bioethik aktuell, 15.04.2019). „In Belgien hat man sich in den vergangenen Jahrzehnten an die aktive Sterbehilfe gewöhnt", sagt die Wiener Bioethikerin Susanne Kummer. „Das macht etwas mit einer Gesellschaft. Senioren aus Kostengründen eine medizinisch adäquate Versorgung vorzuenthalten, um Geld zu sparen, kombiniert mit dem Angebot, sie könnten doch aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen, stellt für eine Gesellschaft einen gefährlichen Mix dar“, betont die IMABE-Direktorin. Das „Argument der Selbstbestimmung kippt damit still und leise in Fremdbestimmung", so Kummer. Sobald Tötung auf Verlangen eine normale Option darstellt, wachse der „Druck auf ein sozialverträgliches Frühableben“.

Neuer Höchststand: 4.000 Belgier sind 2024 durch Tötung auf Verlangen gestorben

Die Zahl der gemeldeten Sterbehilfefälle ist seit der Legalisierung kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2024 wurden knapp 4.000 Fälle „aktiver Sterbehilfe" gemeldet, was 3,6 Prozent aller Todesfälle ausmacht (Pressemitteilung, 19.3.2025, Federal public service for Health). Das sind täglich 11 Personen, ein Anstieg um 16,6 Prozent gegenüber 2023. Im Jahr 2022 waren es noch knapp 3.000 Fälle. Damit hat sich die Anzahl der Euthanasie-Fälle seit 2003 mehr als verzehnfacht. Zwischen 2002 und 2023 sind offiziell 37.606 Menschen durch Euthanasie aus dem Leben geschieden.

Bei knapp der Hälfte der Patienten stand der Tod nicht unmittelbar bevor

Die Mehrheit der betroffenen Patienten war Senioren (72,6 Prozent: 70 plus), und Hochaltrige (43,2 Prozent: 80 plus). Die Zahl der Betroffenen unter 40 Jahren war gering (1,3 Prozent). Bei mehr als die Hälfte der Anträge lag eine Krebserkrankung zugrunde. Bereits an zweiter Stelle stehen Mehrfacherkrankungen (Polypathologie), deren Anteil von 23,2 Prozent im Jahr 2023 auf 26,8 Prozent im Jahr 2024 deutlich anstieg.

Dazu zählen auch rein altersbedingte Einschränkungen wie Sehschwäche, Hörverlust und mangelnde Mobilität. Bemerkenswert ist, dass bei fast der Hälfte der Patienten mit Mehrfacherkrankungen kein unmittelbar bevorstehender Tod erwartet wurde. Im Jahr 2024 wurde ein Fall von Tötung auf Wunsch bei einem Minderjährigen gemeldet, was die Gesamtzahl seit der Gesetzesausweitung auf Minderjährige im Jahr 2014 auf sechs erhöht hat.

Psychisches Leiden wird häufiger als Grund für Euthanasie angegeben

Die Ärzte gaben 2023 in 76,2 Prozent der Fälle sowohl körperliches als auch psychisches Leiden an. 2024 stieg dieser Anteil auf 82,3 Prozent. Obwohl zahlenmäßig noch gering (89 Fälle), ist ein Anstieg der Euthanasie-Fälle aufgrund psychiatrischer Erkrankungen zu beobachten, die 2023 und 2024 jeweils 1,4 Prozent der Fälle ausmachten. Auch kognitive Störungen wie die Alzheimer-Krankheit wurden mit 1,4 Prozent als Grund angegeben.

Wissenschaftliche Studien (JPSM, 2018) deuten darauf hin, dass schätzungsweise 25 bis 35% aller Euthanasie-Fälle ungemeldet bleiben könnten, was bedeutet, dass die tatsächlichen Zahlen noch höher liegen dürften als die offiziell erfassten Daten.
Abwertung von Menschen mit Demenz geht mit Faktoren der Kostenersparnis einher

Besonders erschreckend ist für viele, wie Menschen mit Demenz herabgewürdigt werden – zu Personen, die bloß in einem „vegetativen“ Zustand leben. Der Gesetzentwurf spiegelt negative Narrative wider: Demenz wird damit zum Schreckgespenst einer Gesellschaft, die zuvor Autonomie und kognitive Leistungsfähigkeit als Um und Auf der menschlichen Existenz definiert hat.

Diese Sicht verkennt allerdings den Zustand der Betroffenen. Der belgische Neurologe Eric Salmon (Universität Lüttich) betont bei der Anhörung, dass diese Patienten nicht zwingend schwere körperliche Leiden ertragen müssten und durchaus positive Momente erleben und Liebe empfinden. Es scheint, als ob die Angst vor dem Leiden – und nicht das Leiden selbst – zu einem Wunsch nach Tötung führt, so die Abgeordnete Frieda Gijbels.

Selbstbestimmung achten heißt: Lebensperspektiven ermöglichen

Für das Flämische Demenz-Expertisezentrum darf Euthanasie, wie sie offen genannt wird, nicht als „Lösung für den Mangel an Finanzierung und das schlechte Image von Demenz“ genutzt werden (EIB, 27.01.2025). Laut Sabine Henry, Präsidentin der Alzheimer-Liga, müsse der Zugang zur Palliativpflege erleichtert werden. Die Selbstbestimmung der Patienten zu gewährleisten, bedeute, Unterstützungen anzubieten und Perspektiven zum Leben zu ermöglichen.

 


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Lesermeinungen

Chrissi Bohm 10. April 2025: Das heißt Euthanasie,

im Dritten Reich die Tötung unwerten Lebens. Jetzt leben wir im Vierten Reich.Die Parallelen sind Wiederholungen.Wer hätte das gedacht. Kaum 100 Jahre zurück.

Richelius 10. April 2025: @ kant3

Man kann auch ohne gesetzliche Regelung einen Auftragskiller anheuern, um sich umzubringen. Dafür braucht es kein Gesetz.

SalvatoreMio 9. April 2025: Belgien, wohin bist Du geraten?

Mariat 9. April 2025: In Deutschland ist "Sterbehilfe" verboten.

kant3 9. April 2025: Selbsttötungshilfe durch eine Selbsttötungshelfer bei Willensbekundung

Wie finden wir zu einer „vernünftigen“ Reglung der aktiven Selbsttötungs-Hilfe? Ein kategorisches Verbot wird man in unserer Gesellschaft nicht mehr mehr durchsetzen können, denn der Selbstmord wird moralisch nicht mehr für falsch. Deshalb sollte man gute Rahmenbedingungen schaffen.

1. Man sollte die Sache beim richtigen Namen nennen: Selbsttötungs-Hilfe.
2. Die Selbsttöungs-HIlfe darf nur bei klarer, gesetzlich geregelter Willensbekundung vorgenommen werden, also keine dementen Menschen, Kinder etc.
3. Die Tötung sollte nicht ein Arzt vornehmen, sondern ein dafür ausgebildeter „Selbstmordhelfer“, den man auch so oder ähnlich nennen sollte.

Ich denke, diese drei Maßnahmen wwären wichtig für unserer Gesellschaft, um die Selbsttötungs-Hilfe richtig einzuordnen und zu einer guten gesetzlichen Regelung zu kommen.

modernchrist 9. April 2025: So wie man seit Jahrezehnten in der Abtreibungsfrage

absolut falsch von "werdendem Leben" sprach, so spricht man dann vom "sterbenden Leben".
In beiden Fällen verschwindet der Mensch hinter dieser Formel! "Dahinvegetierende" Alte und Demente kann man dann leichter entsorgen! Utilitarismus und Bestialität lassen grüßen. Warum soll denn der demente Alte, der unsere Familie im Stich gelassen hat, jetzt das Erbe verwindeln und verfrühstücken? Lässt man Tötung von Menschen an einer einzigen Stelle zu, so verroht die gesamte Gesellschaft und wird im Grunde zu einer Räuber- und Mörderbande.

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